 |
 |
Mittwoch, 04. Juli
2012
Guten Morgen,
auf Druck der britischen Regierung trat
gestern einer der europäischen Top-Banker zurück. Endlich, muss man in diesem
Fall sagen. Barclays-Chef Bob Diamond, der die Millionen-Boni
seiner Zunft stets leidenschaftlich verteidigte und öffentlich forderte, im
Investment-Banking müsse die Zeit der Demut beendet werden, stürzte über
eine Affäre der Barclays-Händler, die den sogenannten Libor-Zinssatz
manipuliert hatten. Am Libor-Satz hängen weltweit Zehntausende
Finanzprodukte im Wert von einigen Billionen Dollar. Einmal mehr fragt man
sich, wie die Börsenaufsicht in einen jahrelangen Dornröschenschlaf verfallen
konnte.
Zwei Wahrheiten beschäftigen derzeit die deutsche
Sozialpolitik: Gestern meldeten die Statistiker eine weiter rückläufige
Geburtenzahl - ein Allzeittief. Zugleich aber bewegen sich die
familienpolitischen Sozialleistungen auf einem Allzeithoch.
Jährlich gibt der Staat über 195 Milliarden Euro für Familienleistungen aus. "Es
ist offensichtlich, dass die milliardenschwere Familienförderung nicht dazu
führt, dass mehr Kinder in Deutschland geboren werden", sagte
CDU-Wirtschaftsexperte Joachim Pfeiffer dem Handelsblatt.
Bundesfamilienministerin Kristina Schröder interpretiert die Zahlen
anders: Der Rückgang der Kinderzahl zeige, wie wichtig eine gute Familienpolitik
sei. Die verwirrende Wahrheit: Beides ist richtig.
Neue
Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW)
zeigen, dass der Staat 2012 rund eine Milliarde und 2013 sogar 2,7
Milliarden Euro mehr einnimmt als die Steuerschätzung des Bundes bisher
prognostizierte. Das sei vor allem auf die deutlich steigenden Löhne
zurückzuführen, so das DIW. Umso eher sollte Finanzminister Wolfgang
Schäuble über den Erlass von Steuern nachdenken, die dem
Wirtschaftsstandort so erkennbar schaden wie die Flugverkehrsabgabe. Alle unsere
Fluggesellschaften sind mittlerweile in den roten Zahlen. Aber Schäuble greift
dem nackten Mann beherzt in die Tasche.
Der amerikanische Softwarekonzern
Microsoft schreibt sechs Milliarden Dollar auf einen Zukauf im
Bereich Online-Werbung ab. Offenbar ist auch Firmenchef Steve Ballmer
nicht so unfehlbar, wie er glaubt. Als ich ihn vor Jahren in Berlin
interviewte, musste das Restaurant geschlossen werden, weil Ballmer alles kann -
nur nicht in Zimmerlautstärke sprechen. Gestern schwieg er.
Die große
Peugeot-Geschichte ist in einem schwierigen Stadium angekommen.
Der französische Familienkonzern rutscht noch tiefer in die Krise. Wegen
der Absatzrückgänge in Südeuropa und der Marktabstinenz in den USA
soll in Europa jeder zehnte Job gestrichen werden. Die Misere liegt weniger
an den Autos als an den Managern. Vielleicht sollten Ferdinand Piëch und
Martin Winterkorn mal für ein paar Monate in Paris aushelfen.
Wenige Tage nach dem EU-Gipfel zur Euro-Krise kommen Bundeskanzlerin
Angela Merkel und Italiens Regierungschef Mario Monti heute erneut
zusammen. Eine Nachbereitung des Brüsseler Gipfels steht im Mittelpunkt der
deutsch-italienischen Regierungskonsultationen in der römischen Villa
Madama. Auf dem EU-Gipfel Ende vergangener Woche hatte Monti seine Interessen
zulasten der deutschen Interessen durchsetzen können - und Merkel so in
politische Schwierigkeiten gebracht. Auch für die deutsche Kanzlerin gilt
jenes Motto, das einst Bill Clinton für sich reklamierte: "Ich verzeihe
alles und vergesse nichts."
E-Mail-Terror, Handy-Alarm,
Powerpoint-Wahnsinn: Nicht die Möglichkeiten der Technik sind das Problem,
sondern der zügellose Umgang damit. Das sagt unsere heutige Gastkommentatorin
Marion Schick, Personalvorstand bei der Deutschen Telekom.
Entschleunigung sei eine neu zu lernende und zu lehrende
Führungskultur, um Erschöpfungskrankheiten zu vermeiden: "Wo Führung
versagt, fängt Burn-out (leichter) an."
Ich wünsche Ihnen einen
entschleunigten Start in den Tag. Es grüßt Sie herzlichst Ihr
 |
 |
Gabor Steingart Chefredakteur
|
 |
 |