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Guten Morgen Herr XY,
die Nachricht schlug gestern Abend in Europas
Hauptstädten ein wie eine Bombe: Griechenlands Ministerpräsident Giorgos
Papandreou will sein Volk über den Schuldenerlass abstimmen lassen. Dazu
muss man wissen: Die Griechen sind mit einer überwältigenden Mehrheit von fast
90 Prozent gegen Schuldenschnitt und Spardiktat. Der Beschluss des EU-Gipfels,
der mit den Banken ausgehandelte Schuldenerlass von 50 Prozent, könnte an dem
Referendum scheitern - obwohl Papandreou selbst zugestimmt hatte.
Kommentatoren in Athen sprachen gestern Abend von einem "politischen Selbstmord"
des Regierungschefs.
Die europäische Staatsschuldenkrise dürfte auch die
Amtszeit von Mario Draghi prägen. Der Italiener zieht heute in das
Chefzimmer des EZB-Towers in Frankfurt ein und löst dort Jean-Claude Trichet als
Präsident der Europäischen Zentralbank ab. Draghi begleitet vom ersten
Amtstag an vor allem eines: Skepsis. Er selbst sieht sich als Pragmatiker. Doch
das gilt in Kreisen der deutschen Notenbankgouverneure als Codewort für
politische Willfährigkeit. Unser heutiger Schwerpunkt beschreibt ihn als
Staatenretter, nicht als Inflationsbekämpfer.
Im Sparkassenverband
stehen die Zeichen auf Sturm. Am Wochenende gab Bayerns Finanzminister Georg
Fahrenschon seine Kandidatur für das Amt des Präsidenten bekannt. Die
größten und entscheidenden Landes-Sparkassenverbände stehen hinter ihm und nicht
hinter seinem Gegenkandidaten Rolf Gerlach. Der hat jahrelang die
Pleitebank WestLB beaufsichtigt, was ihm nun zum Verhängnis wird.
Eine
neue Pleite hat gestern die Wall Street erschüttert: Der Wertpapierhändler MF
Global meldete Insolvenz an, es ist die achtgrößte Pleite der
US-Geschichte. Das Unternehmen hat sich mit Staatsanleihen aus Europa
verspekuliert und sitzt auf einem Schuldenberg von fast 40 Milliarden Euro. Die
Geschichte des Untergangs ist auch die Geschichte des ehrgeizigen früheren Chefs
von Goldman Sachs: Jon Corzine. Unser Wall-Street-Reporter in New York,
Rolf Benders, zeichnet für die heutige Ausgabe unserer Zeitung Aufstieg und Fall
dieses Mannes nach.
Unsere Titelgeschichte heißt "Dr. Wolfgang
Seltsam" und befasst sich mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Der
hat seit dem 4. Oktober, womöglich aber auch bereits seit Mitte September, von
der 55,5-Milliarden-Fehlbuchung bei der staatlichen Immobilienbank HRE
gewusst - und den Vorgang den Parlamentariern verschwiegen. Versehen oder
Vertuschungsversuch? Die Analyse unserer Korrespondenten in Berlin und Frankfurt
spricht nicht für Schäuble. Mit einem Rechenfehler dieser Größenordnung
landet Deutschland in der Griechenland-Liga, zumindest statistisch.
Ich
wünsche Ihnen einen heiteren Tag, auch wenn Sie in keinem jener Bundesländer
wohnen, in denen der kirchliche Feiertag "Allerheiligen" heute als
Staatsfeiertag begangen wird. Das säkulare Leben hat auch seine Nachteile. Es
grüßt Sie herzlich Ihr
Gabor Steingart Chefredakteur
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