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Guten Morgen,
gestern Abend hatte Angela Merkel ihren
Auftritt in Davos. Doch sie erfüllte die Erwartungen nicht. Stur
verteidigte sie vor der internationalen Wirtschafts- und Finanzwelt ihre
Rettungspolitik, die seit nunmehr zwei Jahren die Lage nicht hat entschärfen
können. "Es geht voran", sagte sie. Aber es geht voran in die falsche Richtung.
Griechenland steht vor dem finanziellen Kollaps. Die
Finanzmärkte sind aufgewühlt. Das Vertrauen in die
politischen Eliten schwindet.
In Davos fiel der Applaus
entsprechend sparsam aus. International wird die Kanzlerin respektiert, aber
nicht bewundert. George Soros hatte Merkel schon beim Mittagessen
vorgeworfen, die Funktionsweise der Finanzmärkte nicht zu verstehen, ihr fehle
das "emotional understanding". Selbst ein so nachdenklicher Mann wie der
Großinvestor Nicolas Berggruen meint, dass die deutsche Regierungschefin
in Griechenland nur mit der Peitsche, aber ohne Zuckerbrot arbeite. Er fragt,
was in Davos die meisten fragen: Wachstum durch Schrumpfung? Wie soll das
gehen?
Geschäftsmodell Angst: Deutschland konnte eine
30-jährige Anleihe gestern zu historisch niedrigen Zinsen von 2,62
Prozent platzieren. Um drei Milliarden Euro stockte der Bund gestern die in 30
Jahren fällige Bundesanleihe auf und zahlte dafür so wenig wie noch nie.
"Der Run auf die Bundesanleihen ist vor allem von Angst getrieben", sagte uns
David Schnautz, Zinsstratege bei der Commerzbank.
Harte Zeiten für die
Post: Die EU-Kommission fordert die Rückzahlung staatlicher
Beihilfen von bis zu einer Milliarde Euro. Der Dax-Konzern soll nicht nur
staatliche Beihilfen als Ausgleich für die hohen Pensionslasten des einst
von Beamten geführten Staatsunternehmens erhalten haben, sondern mit derselben
Begründung auch ein höheres Briefporto verlangt haben. Post-Chef Frank
Appel will nun vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Sein Pech:
Aufschiebende Wirkung hat dies nicht. Unser Pech: An eine Senkung des Portos
denkt natürlich niemand.
Die Arbeitgeber starten kämpferisch in die
Chemietarifrunde: Sie wollen nicht nur über Löhne sprechen, sondern
fordern längere Arbeitszeiten. Hans-Carsten Hansen, Personalchef
von BASF und Leiter der Tarifkommission im Arbeitgeberverband Chemie, sagt im
Interview mit unserer Zeitung: "Arbeitszeitverkürzung passte gut in eine Zeit,
in der es mehr Arbeitskräfte als Arbeitsplätze gab. Diese Zeit ist vorbei." Das
Verrückte an der Debatte: Für viele Angestellte gab es diese Zeit nie. Das Wort
Arbeitszeitverkürzung kennen viele von uns nur aus der Zeitung.
Wer viel arbeitet, darf viel essen, hat Lenin gesagt. Vielleicht
deshalb wird beim Weltwirtschaftsforum in Davos nachts so ausgiebig
gefeiert. Gestern Abend lud Jürgen Großmann seine 100 engsten Freunde
zum Hummer-Essen, der Verleger Hubert Burda lieferte sich mit Bill
Gates ein Duell um den glamouröseren Empfang, den Burda deutlich gewann.
Sein Vorteil: Die effizienzbesessenen Amerikaner (Bill Clinton war nicht in
Davos) lagen schon um Mitternacht in den Betten. Heute Abend bittet
McKinsey zum Tanz, am Freitag dann hält die Deutsche Bank Hof.
Josef Ackermann ist der Einladende, aber der Star des Abends wird sein
Nachfolger Anshu Jain sein. Und unser vierköpfiges Reporterteam? Feiert
mit und fahndet unter den Eliten in Politik und Wirtschaft nach Menschen, die
als Vorbild taugen. Das Ergebnis werden wir Ihnen in unserer Wochenendausgabe
präsentieren.
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag. Es grüßt
Sie herzlichst Ihr
Gabor Steingart Chefredakteur
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