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Guten Morgen,
unsere heutige Titelgeschichte trägt die
Überschrift "Die Zweiklassengesellschaft". Gemeint ist das
Auseinanderdriften der 30 Dax-Konzerne, das spätestens bei der Vorlage
der Jahresabschlüsse 2011 für jedermann erkennbar sein wird. Das
Handelsblatt und die Researchabteilung der Commerzbank haben schon vorab die
Ertragsschätzungen ausgewertet - mit folgendem Ergebnis: Die
Spitzengruppe, angeführt von Volkswagen, BMW und
SAP, fährt historisch beeindruckende Rekordgewinne ein, derweil
Lufthansa, Heidelbergcement, Thyssen-Krupp und ausnahmslos
alle Finanzdienstleister von ihren goldenen Zeiten weit entfernt sind.
Die Gründe für dieses Auseinanderdriften haben wir auf einer Sonderseite für Sie
analysiert.
Die Hauptversammlung des traditionsreichen
Stahlkonzerns Thyssen-Krupp war für Aufsichtsratschef Gerhard Cromme
eine echte Herausforderung. Die Sympathien der Aktionäre befanden sich auf
Seiten von Ekkehard Schulz, dem Ex-Vorstandschef und Ex-Aufsichtsrat, dem
Cromme das Fehlinvestment in Brasilien anlastet. Wir dokumentieren in der
heutigen Ausgabe die Stimmen der Basis, die ihren "eisernen Ekki" noch immer in
Ehren hält. Das ist liebenswert, aber durch die Fakten nicht immer gedeckt. Da
ist kein Unschuldiger gegangen. Die Erinnerung malt mit goldenem Pinsel.
Anton Schlecker hat Wirtschaftsgeschichte geschrieben.
Aufstieg und Fall seiner Drogeriemarktkette sind ein Lehrbeispiel für
Unternehmermut, wobei der Mut zum Risiko immer auch den Mut zum Scheitern
beinhaltet. Die Erben müssen nun retten, was zu retten ist. Die Hoffnungen von
30.000 Beschäftigten ruhen jetzt auf Lars und Meike Schlecker. Für sie
gilt, was Goethe in seinem Faust gedichtet hat: "Was du ererbt von deinen
Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen."
Ich freue mich auf die heute
beginnende Handelsblatt-Konferenz: Ökonomie neu denken. Mehr als 250
Volkswirte, Politiker und Unternehmer diskutieren nachher in Frankfurt darüber,
was die Wirtschaftswissenschaft aus der Finanzkrise lernen muss. Es gibt
viel zu besprechen. Bislang hat die Wissenschaft meines Erachtens die neue Lage
nicht gründlich genug analysiert. Es dominieren Schuldzuweisungen der
schlichten Art: Entfesselter Kapitalismus, rufen die einen. Staatsversagen,
erwidern die anderen. Wir erleben, das hat Rainer Hank von der
"Frankfurter Allgemeinen Zeitung" in seinem demnächst erscheinenden Buch (dessen
Druckfahnen mir vorgestern zugingen) vortrefflich formuliert, bisher immer nur
"die Neuauflage des immer schon Gewussten".
Bundespräsident Christian
Wulff erschien gestern zum 90-Minuten-Talk mit Zeit-Herausgeber Josef
Joffe im Berliner Ensemble. "Was ist typisch deutsch?", lautete das
offizielle Thema. "Was ist typisch Wulff?", war das inoffizielle. Um es kurz zu
machen: Wulff schlug sich wacker. Die Rolle des selbstbewussten Sünders
liegt ihm. Zwei Dinge kamen ihm zugute: Die Vorwürfe werden immer kleiner, das
geschenkte Bobbycar und ein Kochbuch-Sponsoring taugen nicht für
neue Erregungswellen. Und: Er hat seinen Mutterwitz wiedergefunden. Er werde
seine Telefongewohnheiten umstellen, sagte er. Das Sich-Beschweren auf anderer
Menschen Mailboxen wird demnach eingestellt. Tritt Wulf ab? Zumindest eine
Teilantwort hat er gestern gegeben: Freiwillig wird er es nicht tun.
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in diese neue Winterwoche. Es grüßt
Sie herzlichst Ihr
Gabor Steingart Chefredakteur
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