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Donnerstag, 31. Mai
2012
Guten Morgen,
vor zwei Jahren war es den 500 größten
Konzernen Europas zum zweiten Mal in der Nachkriegszeit gelungen,
profitabler als ihre US-Rivalen zu sein. Doch die Euro-Schuldenkrise
hat die Uhr wieder zurückgedreht. 2011 setzten sich die Amerikaner mit ihren
großen Gewinnmaschinen wie Exxon Mobil, Chevron, Pfizer, Wal-Mart oder
Apple wieder an die Spitze. Die große Handelsblatt-Studie "Firmenvergleich
Europa vs. Amerika", die unser Unternehmensreporter Ulf Sommer zusammen mit dem
Handelsblatt-Research erstellt hat, zeigt Gewinner und Verlierer - und sie
zeigt, was in Europa geschah. Gewinneinbrüche auf breiter Front:
Italien minus 54 Prozent, Spanien minus 37 Prozent, Finnland minus 55 Prozent.
Die Euro-Krise frisst sich in die Konzernbilanzen. Unsere Titelgeschichte
"Gewinnmaschine USA" verdeutlicht die Unterschiede auf beiden
Kontinenten.
Eine deutsche Version von Amazon, Google, Youtube,
Facebook oder Apple sucht man vergebens. Lediglich das
Softwareunternehmen SAP hat es als eine der wenigen Neugründungen
geschafft, zu einer IT-Firma von Weltgeltung zu werden. Diese
Schieflage gegen die USA in der Internet- und IT-Branche wird in der
Bundesregierung mit wachsender Sorge gesehen. Kanzlerin Angela Merkel
will jetzt mit einer industriepolitischen Initiative gegensteuern,
wie unser Hauptstadtbüro meldet. Hoffentlich erlahmt diese Initiative nicht
gleich wieder, kaum dass der Nachtisch beim großen "Internet-Gipfel im
Kanzleramt" abgetragen ist. Merkels Gipfelgastronomie ist in der Regel
beides - bekömmlich und folgenlos.
Die EU-Kommission räumt
Spanien eine Atempause bei der Haushaltskonsolidierung ein. Die
Regierung in Madrid muss ihr Defizit erst im Jahr 2014 auf den EU-Grenzwert von
drei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) drücken, also ein Jahr später als
bisher geplant. EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn begründete den Schritt
gestern mit der Rezession in Spanien. Die Verschiebung ist ökonomisch
bedenklich, aber politisch geboten. Martin Wolf schreibt in der
britischen "Financial Times", dass nichts gewonnen sei, wenn die Südländer sich
immer tiefer in die Rezession sparten: "Der Lohn für den heutigen Schmerz ist
dann der noch größere Schmerz in der Zukunft."
Der kanadische
Blackberry-Hersteller Research in Motion (RIM) hat nach fünf Quartalen
mit sinkenden Verkaufszahlen und schrumpfenden Marktanteilen die Börse auf den
ersten Quartalsverlust seit 2004 vorbereitet. Die Firma verlor den
Anschluss an wichtige Technologien wie den berührungsempfindlichen Bildschirm.
Wenn der Ex-Siemens-Mann und heutige Blackberry-Chef Thorsten Heins die
Sanierung hinbekommt, ist er für mich kein Manager, sondern ein
Magier.
Heute Morgen beginnt Josef Ackermanns letzter großer Auftritt
als Deutsche-Bank-Chef. Das Handelsblatt ist auf der Hauptversammlung mit
seinem Bankenteam dabei - und Sie auch, wenn Sie mögen. Handelsblatt Online und unser
iPad-Portal Handelsblatt First werden live berichten.
Auch bei Europas
größtem Luft- und Raumfahrtkonzern EADS geht heute eine Ära zu Ende. Der
langjährige Vorstandschef Louis Gallois verabschiedet sich auf der
Hauptversammlung in Amsterdam von den Aktionären. Nachfolger des
freundlich, diplomatischen Franzosen wird der 53-jährige Klartext-Redner
Thomas Enders aus Deutschland. Der hat sich Großes vorgenommen: "Ich möchte
unsere Ertragsfähigkeit steigern, die Internationalisierung voran treiben und
daran arbeiten, dass wir normale Eigentümerstrukturen bekommen, in der
staatliche Aktionäre keine Rolle spielen." Diese Ziele sind so radikal wie
notwendig.
Die Iren stimmen heute als einziges Volk in der EU
per Volksentscheid über den Fiskalpakt ab. Weitere Finanzhilfen würde
Irland im Bedarfsfall wohl nur noch dann erhalten, wenn das Volk mehrheitlich
mit "Ja" stimmt. Das Inselvolk lernt damit eine wichtige Lektion: Zur Demokratie
gehören zwei. Auch die Geberländer haben ein Recht, "Nein" zu sagen.
Vielleicht sollte man den irischen Wahltag heute auch im griechischen
Fernsehen übertragen.
Berufsenthüller Günter Wallraff hat
wieder zugeschlagen. Diesmal heuerte er unter falschem Namen bei einem
Paketzustelldienst an. Dort fand er, was er suchte: "moderne
Sklaverei". Die routinierte Empörung des 69-jährigen Bestsellerautors mutet
mittlerweile seltsam an: Wallraff ist der einzige Sklave, der es mit
Sklavenarbeit zum Millionär geschafft hat.
Ich wünsche Ihnen einen
entspannten Tag. Es grüßt Sie herzlichst Ihr
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Gabor Steingart Chefredakteur
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