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Guten Morgen Herr Scaruffi,
die Schuldenkrise lähmt die Börsen in den
Industriestaaten. Wer vor zehn Jahren auf Europa gesetzt hat und sich einen
Aktienkorb mit den hiesigen Börsen-Schwergewichten gekauft hat, hat heute einen
Verlust von 30 Prozent zu verkraften. Dabei müssten die Aktien
europäischer Konzerne, gemessen an den gestiegenen Unternehmensgewinnen,
eigentlich 50 Prozent höher notieren als damals. Könnte, müsste, würde - also
schauen alle gebannt auf die Schwellenländer. Dort wachsen die
Unternehmen, als habe man ihnen Siebenmeilenstiefel angezogen. Unsere
Wochenend-Ausgabe bietet auf 14 Sonderseiten Navigationshilfe beim Ausflug zu
den Gewinnmaschinen in Übersee. Die Überschrift lautet "Reisen bildet. Zum
Beispiel Kapital".
Noch nie war das Geldleihen in Europa
billiger als heute. Die Europäische Zentralbank senkte gestern den
Leitzins auf ein Prozent. Und: Die Banken können sich gegen nur geringe
Sicherheiten für drei Jahre mit Euro-Noten in unbegrenzter Höhe versorgen. Es
regnet also Geld über Europa, was uns derzeit hilft, den Geldkreislauf in Gang
zu halten. Die schlechte Nachricht: Irgendwann wird dieser Geldregen unseren
Geldwert aufschwemmen. Der Euro wird so zwar gerettet, aber
inflationiert.
Mit Geld allein wird Europa allerdings nicht
gerettet. Ein neuer EU-Vertrag muss her, in dem sich alle 17 Euro-Staaten
verpflichten, das Wort "Schlendrian" aus ihrem Wörterbuch zu streichen.
Ausgerechnet der britische Premier David Cameron ließ heute Nacht eine
Änderung des EU-Vertrages scheitern. Merkel und Sarkozy wollen jetzt ohne
ihn in Europa weitermarschieren. Das ist schmerzhaft, aber konsequent.
Wahrscheinlich muss Europa schrumpfen, damit es überleben kann.
Italienische Linksextremisten bekennen sich zu dem
Anschlagsversuch auf den Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, der
Gott sei Dank vereitelt wurde. Die größten Boni in der Bank haben in
diesem Jahr nicht die Investmentbanker, sondern die aufmerksamen Männer und
Frauen in der Poststelle verdient.
Der Stresstest sorgt
für weiteren Stress. Denn die größten europäischen Geldinstitute weisen
nach dem Belastungstest der Bankenaufsichtsbehörde Eba eine Kapitallücke von
knapp 115 Milliarden Euro aus. Mit 5,3 Milliarden Euro fehlt der
Commerzbank unter den deutschen Instituten der größte Batzen.
Vorstandschef Martin Blessing sammelt derzeit Kapital wie andere
Briefmarken.
Neues von der Ergo: Die Versicherungsgesellschaft,
die zunächst mit großer Verve gegen die Medien zu Feld gezogen war, zieht nun
doch Konsequenzen aus dem Fehlverhalten ihres Strukturvertriebes.
Wichtige Männer der Organisation werden jetzt verabschiedet, um
einen Neuanfang ohne Bordellbesuche und Falschkalkulationen zu ermöglichen.
Handelsblatt-Redakteur Sönke Iwersen hatte mit seinen Recherchen die
Affäre ins Rollen gebracht. Nun zeichnet ihn das Fachmagazin
"Wirtschaftsjournalist" zum "Wirtschaftsjournalisten des Jahres 2011" aus. In
der Bewertung der Jury heißt es: "Iwersen ist der vielleicht beste
Wirtschafts-Rechercheur der Republik." Die Handelsblatt-Redaktion ist vor allem
eines: stolz auf ihn. Er ist für viele Freund, Kollege - und Vorbild.
Ich wünsche Ihnen einen heiteren Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie
herzlichst Ihr
Gabor Steingart Chefredakteur
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